Gutächtliche Aeusserung des Doctoren-Collegiums der medic. Facultät in Wien über die Organisirung der akademischen Behörden und ein definitives Statut der Wiener Universitat / J. Schneller.

  • Schneller, J.
Date:
[1864?]
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Credit: Gutächtliche Aeusserung des Doctoren-Collegiums der medic. Facultät in Wien über die Organisirung der akademischen Behörden und ein definitives Statut der Wiener Universitat / J. Schneller. Source: Wellcome Collection.

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    die Schule dem Öffentlichen praktischen Leben mehr dienstbar zu machen, bei den fortwährend sich steigernden Ansprüchen auf eine tüchtige Fachbildung, zu deren Erwerbung wieder zahlreiche Behelfe, seien es nun Bibliotheken, Sammlungen, Laboratorien, In¬ stitute, Kliniken u. dgl-, nothwendig sind, ist die Zerfällung der früher als compactes Ganze dastehenden Hauptdisciplinen in meh¬ rere verschiedene Specialfächer eine natürliche. Das Entstehen von Fachschulen wird hiemit ein durch die Umstände dringend gebote¬ nes, wie es ja in Oesterreich an Beispielen dieser Art nicht mangelt. Je mehr aber solche Fachschulen den an sie gestellten Anfor¬ derungen entsprechen, desto selbstständiger werden sie und desto weniger kann die organische Einheit der Einzelnen unter einander weder in der obersten Leitung noch im Raume erhalten werden. An jenen Universitäten, an welchen man den Bedürfnissen des Lebens Rechnung tragen wollte, suchte man durch Gründung neuer Facultäten oder Theilung der bestehenden die Schüler noch an der Alma mater festzuhalten. So hat z. B. Tübingen 7 Facultäten; eine 1) evangelisch- und 2) katholisch-theologische, 3) juristische, 4) me- dicinische, 5) philosophische, 6) staatswirthschaftliche und 7) na¬ turwissenschaftliche Facultät. In Zürich ist die philosophische in -zwei Sectionen getheilt, die philosophisch-philologisch-historische und mathematisch-naturwissenschaftliche. Allein sobald diese Spe¬ cialabtheilungen mehr erstarkt sind, wird ihr Zusammenhang mit der Mutteranstalt loser, sie fallen ab und bilden selbst in den mehr theoretischen Disciplinen Fachschulen, die unter dem Namen von physikalischen Instituten, philologischen oder historischen Semina- rien, Rechtsschulen, klinischen Schulen u. dgl. eine gewisse Selbst¬ ständigkeit behaupten. Am ausgeprägtesten finden wir dies in den Weltstädten der Civilisation, Paris und London, wo Universitäten wohl dem Namen nach bestehen, allein trotz den riesigen Fortschritten der wissen¬ schaftlichen Entwicklung daselbst sehr verschieden sind von der sogenannten modernen deutscnen riocnscnule. uenn augesenen von den daselbst herrschenden eigenthümfichen Unterrichtsprincipien sind die Facultäten theils unvollständig vertreten, theils besteht gar keine organische Verbindung unter ihnen durch einen akade¬ mischen Senat. Anderseits gibt es gleichfalls in Ländern von sehr vorgeschrit¬ tener Cultur Collegien und Universitäten (z. B. wie zwei Universi¬ täten zu London und das College of surgeons daselbst, dann in Belgien), welche blosse Privatanstalten sind, durch Privatmittel er¬ halten werden und ihren Zweck in vorzüglicher Weise erfüllen; der Staat ertheilt ihnen das Recht zur Promotion und zur Zusam¬ mensetzung entsprechender Prüfungscommissionen, um eine Garan¬ tie für die tüchtige Fachbildung des künftig selbstständig wirken¬ den Staatsbürgers zu haben. In den eben bezeichneten Fällen repräsentirt das Vielen vorschwebende Ideal der Universität einen überwundenen Standpunct und eine der Vergangenheit angehörige Institution. Ja selbst in dem Falle, als die Universität die blosse Erfor¬ schung de»- Wahrheit, die Verbreitung des Wissens, d. i. des Be¬ wiesenen ohne Anwendung auf das praktische Leben, zum Zwecke hat, und als sie wieder nicht bloss gelehrte, sondern, wie Einzelne wollen, Gelehrtenschule sein soll, entspricht die sogenannte deut¬ sche Universität nicht den Ansprüchen des intellectuellen Fortschrit¬ tes, denn es müssten dann manche bisher als Hauptfächer geltende Disciplinen entfallen, und selbst die medicinische Facultät als Bil¬ dungsanstalt für künftige Aerzte würde in der physikalisch-natur- historischen aufgehen und die Fachbildung der letzteren ander¬ wärts gesucht werden müssen. Von dem eben entwickelten Standpuncte aus betrachtet, der kein bloss theoretischer, sondern ein praktischer ist, weil in hoch cmhsirten Ländern verwirklichter, stellt sieh auch die »moderne« Universität als reine Staatsschule mit ihren 4—5 Facultäten als eine Institution dar, die in der Vergangenheit wurzelt und, selbst der Reform bedürftig, wohl manche Aenderungen erfuhr, allein heu¬ tigen Tages in weit vorgeschrittenen Culturstaaten als Schule ge¬ wiss nicht mit der jetzt in Deutschland üblichen Organisation neu gegründet werden würde. Die heutige Berechtigung der sogenannien deutschen Univer¬ sität zu ihrer Existenz liegt also weniger in ihrer Nothwendigkeit als solcher (denn wie die Erfahrung lehrt, werden dieselben Un¬ terrichtszwecke auch durch anders organisirte Institute erreicht, und auch sie ringt schon seit Jahren nach Reformen) als vielmehr in der Altehrwürdigkeit ihrer Stiftung, in der Gewohnheit und in der dankbaren Anerkennung der grossen Verdienste, welche sie sich um die Bildung des Volkes und namentlich um die gelehrte Bil¬ dung erworben haben — mit einem Worte, ihre Berechtigung ist eine historische. Die deutsche Universität hat also mit der Universitas Docto- rum, Magistrorum et Scholarium, d. i. mit der corpora,tiven Univer¬ sität zu Wien, die zugleich Schule ist, das gemeinschaftliche Fun¬ dament, nämlich die Stiftung und das geschichtlich Ueberkommene; und wenn auch im Laufe der Zeiten Aenderungen nothwendig sind, die auch gemacht werden, — an den Grundpfeilern des Baues wird nicht gerüttelt. Die corporative Wiener Universität birgt aber in ihrem Schoosse nebst der Staalsschule, analog der deutschen Universität, noch andere Elemente, welche im Wesentlichen denselben Bildungs¬ gang wie die Lehrer der Staatsschule genommen. Es sind dies die Doctoren, welche, wenn gleich vorzugsweise mit der Anwendung wissenschaftlicher Grundsätze auf die Bedürfnisse des praktischen Lebens beschäftigt, doch in genügender Zahl Männer unter ihren Genossen zählen, welche den Fortschritt der Wissenschaft nicht bloss vermitteln, sondern ihn geradezu anbahneu; so dass, wäh¬ rend die Schule ihrer Natur nach die Verbreiterin des bereits Be¬ kannten und Bewährten ist, nicht wenige Forscher ausserhalb der¬ selben an die Stelle des Alten etwas Besseres, Neues zu setzen mit Erfolg bemüht sind. Beweise hiefür liegen wohl nahe genug. Die Doctoren-Facultät masst sich desshalb nicht an, sich den Träger der Wissenschaft und ihres Fortschrittes zu nennen. Denn auf die¬ sen Namen hat nur der Einzelne, der Ausgezeichnetes geleistet, einen Anspruch, die Wissenschaft kennt kein Monopol und es kann da¬ her einen Collectivträger der Wissenschaft nicht geben; es gibt auch keine Körperschaft, welche als »der« Träger der Wissen¬ schaft anzusehen ist. So wenig der Lehrkörper der medic. Facultät der Träger der Wissenschaft und des Fortschrittes ist, obgleich es unter seinen Mitgliedern an Männern nicht fehlt, welche durch ihre vorragenden Leistungen auf diesen Ehrennamen den gerechtesten Anspruch machen, eben so wenig stellt aber das Doctoren-Colle- gium den Träger der Praxis vor, weil es ja ausserdem noch Prak¬ tiker im besten Sinne des Wortes gibt. Aus den Doctoren gehen die Professoren hervor, und gar Man¬ cher, welcher das Doctoren-Collegium mit wissenschaftlichen Vor¬ trägen erfreute, wurde später öffentlicher Lehrer und gereicht der Facultät zur Zierde. Eben so schliesst sich mancher Lehrer nach zurückgelegter ehrenvoller Laufbahn der Corporation inniger an, weil er hier freundliche Aufnahme und einen geeigneten Boden fin¬ det für sein ferneres Wirken. Nebst seiner praktischen Wirksam¬ keit entwickelt das Doctoren-Collegium, wie dies seine 14 im Drucke erschienenen Jahresberichte allein schon nachweisen, eine rege wis¬ senschaftliche Thätigkeit und trägt zur Verbreitung des Wissens bei; das Professoren-Collegium anderseits beschränkt sich nicht auf die Lehre allein oder ihre Anwendung innerhalb der Schule, es ist dem praktischen Wirken im Privatleben nicht fremd. Es gibt hie¬ mit der Berührungspuncte beider genug, welche alle eher auf eine Vereinigung als eine Trennung hindeuten und die Ansicht, dass die Doctoren in der Universität »heteroplastische« Elemente darstellen, als eine unberechtigte zurückweisen. Manche schwierige Fragen der Sanitätsgesetzgebung, dann wich¬ tige Gegenstände, welche mit dem Studienwesen aufs Innigste Zusam¬ menhängen, fanden im Collegium eine sachgemässe Erledigung. Ueberdies werden die wissenschaftlichen Vorträge im Doctoren- Collegium öffentlich abgehalten und auch Studierende der Medicin können als Zuhörer daran Theil nehmen. Einzelne Gebiete der Me-