Grundzüge einer Geschichte der Preussischen Medizinalverwaltung bis Ende 1907 / nach amtlichen Quellen bearbeitet von Moriz Pistor.

  • Pistor, Moritz, 1835-
Date:
1909
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Credit: Grundzüge einer Geschichte der Preussischen Medizinalverwaltung bis Ende 1907 / nach amtlichen Quellen bearbeitet von Moriz Pistor. Source: Wellcome Collection.

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    Nachdem so durch die Reichsgewerbeordnung die Ausübung der Heil- kunde freigegeben war, bemächtigten sich immer mehr und mehr Laien der verschiedensten Bevölkerungsklassen der Krankenbehandlung, unter ihnen eine nicht geringe Anzahl von Personen, deren Vorleben mehr als zweifelhaft war und, ganz abgesehen von der Sachverständigkeit, keine Gewähr für eine gewissenhafte Behandlung derjenigen bot, welche sich ihnen anvertrauten. Dazu kam eine erhebliche Benachteiligung der Arzte in ihrem Erwerb. Diese Mißstände machten sich so fühlbar, daß schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts unter den Ärzten eine lebhafte Bewegung zugunsten der Wiedereinführung des Pfuschereiverbotes sich bemerkbar machte. Die Ärztekammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin faßte in der Sitzung vom 4. Dezember 1894 den Beschluß, die Ent- ziehung der ärztlichen Approbation für solche Ärzte bei dem Minister zu beantragen, welche 1. gerichtlich dauernd für unheilbar geisteskrank, 2. für unfähig erklärt wurden, als Zeugen oder Sachverständige aufzutreten. Der Ärztekammerausschuß trat diesem Beschluß bei. Die erweiterte Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen sprach sich im November 1896 auf Erfordern des Medizinalministers unter anderen Äußerungen über Stellung der Ärzte in der Gewerbeordnung, wie über die Entziehung der Approbation u. dgl. m., für die Einführung des Pfuschereiverbotes aus. Der Reichskanzler entgegnete auf den Antrag des Medizinalministers im August 1897, daß er nach seiner Kenntnis der Sachlage die Einbringung eines solchen Verbotes nicht für günstig halte, da der Reichstag des Norddeutschen Bundes sich bei der Beratung der Reichsgewerbeordnung unter eingehender Begründung für die Aufhebung des Kurpfuschereiverbotes und für Freigabe der Heilkunde ausgesprochen habe. Es sei nicht anzunehmen, daß der heutige Reichstag dieses Verbot im wesentlichen zugunsten der Interessen des ärztlichen Standes wieder einführen werde, wenn nicht seitens der preußischen Regierung auf Grund statisti- scher Ermittelungen nachgewiesen werde, daß die Kurpfuscherei die Bevölkerung in sehr erheblicher Weise gesundheitlich benachteilige und daß infolge der bis- herigen Bestimmungen der Gewerbeordnung auf dem Gebiete der Gesundheits- pflege Miüstände hervorgetreten seien, welche im öffentlichen Interesse ein gesetz- geberisches Einschreiten erforderten und zu deren Bekämpfung die vorgeschlagene Wiedereinführung des Kurpfuschereiverbotes als geeignet anzuerkennen sei. Der empfohlene Gesetzentwurf würde in der Öffentlichkeit eine wenig günstige Auf- nahme finden und vom Reichstage abgelehnt werden. Im Falle der Weiterver- folgung der Sache dürfte eine vorherige Prüfung im Schöße des preußischen Staatsministeriums herbeizuführen sein. Der Medizinalminister holte weitere Gutachten der Regierungspräsi- denten und der Ärztekammern im Sinne der Ausführungen des Reichskanzlers ein und ersuchte den Justizminister um Auskunft über die Bestrafung von Kurpfuschern während eines bestimmten Zeitraumes.