Ueber den Einfluss der weiblichen Geschlechtskrankheiten auf das Nervensystem : mit besonderer Berücksichtigung des Wesens und der Erscheinungen der Hysterie / von Dr. Amann.

  • Amann, Josef Albert, 1832-1906.
Date:
1874
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Ueber den Einfluss der weiblichen Geschlechtskrankheiten auf das Nervensystem : mit besonderer Berücksichtigung des Wesens und der Erscheinungen der Hysterie / von Dr. Amann. Source: Wellcome Collection.

Provider: This material has been provided by King’s College London. The original may be consulted at King’s College London.

    12/130 (page 2)
    In welcher Weise nun äussert sich die abnorm gesteigerte »Sen- sibilität? Sehr häutig äussert sich die vermehrte Empfindlichkeit der sen- suellen Nerven mit dem Gefühle hochgradigen M issbehagens gegen relativ geringe Reize. Starke Geräusche, unbemessenes Zu- schlagen der Zimmerthüreu, starkes Auftreten beim Gehen, oft schon lautes Gespräch berührt Hysterische unangenehm oder verletzt sie aufs Aeusserste. Alle grellen und bunten Farben, namentlich die rothe, sind ihnen meist zuwider, ebenso reizt sie grelles Licht, und viele können nicht einmal die gewöhnliche Helle des Tages vertragen; man findet sie beinahe stets in dunkeln Zimmern. Einige schmecken die geringsten Mengen von Salz oder Gewürz in der Suppe und wei- sen sie deshalb zurück; der Geruch von manchen wohlriechenden Blumen regt sie auf und macht ihnen Kopfweh. In Verbindung mit dieser Hyperästhesie der Sinnesnerven erscheinen nicht selten die Idiosyncrasien, wie wir sie auch bei Frauen in den ersten Mona- ten der Schwangerschaft und bei Chlorotischen sehr oft beobachten. Welcher Arzt weiss nicht, das Hysterische mit Wohlbehagen Papier und Federn verbrennen, um sich an deren Geruch zu laben ? Campher- und Moschusgeruch lieben sie ebenfalls. Manche von ihnen tragen unwiderstehliches Verlangen nach dem Genüsse von Siegellack, Kreide, Wachs und Stearin, Bleistift, Kümmel u. dgl, Asa foetida, Valeriana und andere, Gesunden widerlich schmeckende Substanzen nehmen sie gerne, während eine Medizin von gutem Geschmacke ihnen bisweilen nicht beizubringen ist. Eine weitere gemeinhin nicht so häufig beobachtete Erscheinung der Hyperästhesie ist die abnorm vermehrte Schärfe der Sinne. Wie Blinde erkennen sie durch ihr feines Tastgefühl die kleinsten Unterschiede der Oberfläche, der Form und der Consistenz der Körper, nehmen die geringsten Temperaturunterschiede und Ge- wichtsdifferenzen wahr. Ebenso verhält es sich mit dem Geruch-, Gehör- und Gesichtssinne. Ich kenne eine hysterische Dame, welche frische Kirschen durch ein Zimmer hindurch riecht und durch den Geruch Personen von einander unterscheidet. Das Gehör ist Ihm manchen derartigen Kranken so fein, dass sie, wenn ihre Aufmerk- samkeit nicht durch irgend welche geistige Thätigkeit in Anspruch genommen ist, die leisesten Geräusche wahrnehmen und dadurch in ewige Zerstreuung gerathen. Durch den verschärften Gesichtssinn sehen sie im dunkeln Zimmer Gegenstände und Bewegungen, von welchen gesunde, mit gutem Gesichte versehene Menschen bei der grössten Aufmerksamkeit nichts entdecken können. Diese Eigenschaften der Sinne müssen dem gewöhnlichen Menschen