Volume 2

Lehrbuch der Nervenkrankheiten für Ärzte und Studierende / von prof. dr. H. Oppenheim.

  • Oppenheim, Hermann, 1858-1919.
Date:
1913
Catalogue details

Licence: Attribution-NonCommercial 4.0 International (CC BY-NC 4.0)

Credit: Lehrbuch der Nervenkrankheiten für Ärzte und Studierende / von prof. dr. H. Oppenheim. Source: Wellcome Collection.

    672/1172 (page 1446)
    bei genauerer Untersuchung die der Hysterie eigentümlichen seelischen Anomalien feststellen. Ferner ist auch hier der Befund der spastischen oder schlaffen degenerativen Lähmung für das organische Leiden ent- scheidend. — Die Differentialdiagnose zwischen der Hysterie und anderen Erkrankungen des Rückenmarks, z. B. der Gliose, ist an entsprechender Stelle abgehandelt worden. Beziigl. d. Diflerentialdiagnose zwischen hysterischer und organischer Hemiplegie vgl. S. 1054 und Babinski, Gaz. med. des hop. 1900. Einzelheiten bei Neri. Nouv. Icon. 08, Lhermitte, Sem. med. 08, Hoover, Journ. Amer. med. Assoc. 08. Ich sah (ebenso wie Brodie, Paget u. A.) Fälle von Hysterie, die fälschlich als Caries der Halswirbelsäule gedeutet worden waren, weil Nackensteifigkeit, Schmerz, Gefühls- und Bewegungsstörung Vor- lagen. Die Druckempfindlichkeit der Wirbel war aber keine so um- schriebene, entpuppte sich gewöhnlich als Hyperästhesie der Haut, die Anspannung der Nackeumuskeln war eine übertriebene, und endlich gingen die Grenzen der Gefühlsstöruug über die einer zervikalen Myelitis entsprechenden hinaus. In einem Falle, in welchem die Patientin bereits monatelang ins Bett gesteckt und mittels der Glissonschen Schwebe suspendiert worden war, gelang es mir, durch psychischen Einfluß alle Erscheinungen mit einem Schlage zum Schwinden zu bringen und die Kranke noch selbigen Tages im Garten herumspringen zu lassen. Wie die hysterischen Gelenkaffektionen sich von den echten unterscheiden, ist bereits erörtert worden. Auf diesem Gebiete wird besonders viel gesündigt. In einem Falle meiner Beobachtung war die Resektion des Kniegelenks bereits beschlossene Sache, und nur durch den Zuspruch eines liinzugezogenen Arztes war es erreicht worden, daß mir die Kranke vorher vorgestellt wurde. Sie kam auf zwei Krücken herein und verließ mich nach einer Viertelstunde ohne dieselben. In einem anderen Falle war wegen hysterischer Koxalgie mit scheinbarer Ver- kürzung des Beins ein Stiefel mit hoher Sohle verordnet worden, den Patientin nach wenigen Sitzungen elektrischer Behandlung fortwerfen konnte. In einem dritten hatte ein Knabe, der ein an doppelseitiger Klumpfußbildung leidendes Kind gesehen hatte, offenbar auf dem Wege der Imitation oder psychischen Infektion eine hysterische Kon- traktur beider Füße mit stark ausgebildeter Varo-equinus-Stellung erworben, die lange Zeit nicht erkannt worden war. Er konnte in einer Sitzung soweit gebessert werden, daß die Haltung der Füße eine normale wurde. Andererseits habe ich vor 25 Jahren bei einem Mädchen Hysterie angenommen, das über Schmerzen in beiden Hüft-Lenden- gegenden klagte und mit steifer Beckenhaltung ging, ohne daß ich trotz wiederholter genauer Untersuchung einen objektiven Befund erheben konnte. Der Zustand besteht heute noch, hat sich nur etwas verschlechtert. Aber nach der in der J oa chimsth a Ischen Klinik vorgenommenen Untersuchung fauch röntgenologisch) handelt es sich um die seltene iuvenile Form der Arthritis deformans. In einigen Fällen, in denen wegen viszeraler Schmerzen die Laparotomie bereits beschlossen war, konnte ich den psychogenen Ursprung der Schmerzen nachweisen •und völlige Heilung oder weitgehende Besserung durch entsprechende I herapie erzielen. Demgegenüber hatte ich vor einigen Jahren Gelegenheit, einen Knaben zu beobachten, bei dem die Erkennung des hysterischen Zustandes die größten Schwierig ei en >e reitete: er war plötzlich mit Schmerzen in der Abdominalgegend erkrankt bei denen er wie ein Rasender schrie, auch in den Nächten; dabei bestand völlige Anoiexie, 1 •brechen. Harn- und Stuhldrang. Schon bei dem Versuch, ihn zu untersuchen Feberri!A® er sich wie furibund, machte sinnlose Fluchtversuche etc. Auffallend war, daß er sic zuweilen ablenken ließ, aber trotz schwerer Belastung von seiten beider ™n hi ich eine ausschließlich hysterische Grundlage für unwahrscheinlich. Es genügte edoc die Versetzung in andere Umgebung, um die Erscheinungen sofort zurucktreten - Hier hat es sich wohl um die hysterische Reaktion auf eine lokale Darmre.zung gehandelt.