Volume 2

Lehrbuch der Nervenkrankheiten für Ärzte und Studierende / von prof. dr. H. Oppenheim.

  • Oppenheim, Hermann, 1858-1919.
Date:
1913
Catalogue details

Licence: Attribution-NonCommercial 4.0 International (CC BY-NC 4.0)

Credit: Lehrbuch der Nervenkrankheiten für Ärzte und Studierende / von prof. dr. H. Oppenheim. Source: Wellcome Collection.

    575/1172 (page 1349)
    knirschen beschrieben, desgleichen beobachtete F. Hartmann Kau- muskelkrämpfe, die sich besonders nachts einstellten. Eine Beobachtung Porters1) von einseitigem „Nystagmus des weichen Gaumens un Stimmbandes“ gehört wohl auch hierher. Von größtem Interesse ist es nun, daß die Muskellähmung hier keine absolute ist, daß Muskeln, die dem Willen nicht mehr gehorchen aut emotivem, assoziativem bzw. automatischem und reflektorischem \\ ege in Aktion versetzt werden und dabei eine exzessive Tätigkeit ent- wickeln können. So ist es eine gewöhnliche Erscheinung, daß die beim Sprechen etc. versagenden Muskeln an den Ausdrucksbewegungeil leb- haften Anteil nehmen. Zu den markantesten Symptomen des Leidens gehört nämlich die Steigerung und Modifikation der ininnsehen Muskelakte, die krampfhaften, exp 1 osiven Ausbrüche des Weinens und Lachens — und dabei sieht man die Gesichtsmuskeln, die willkürlich nicht angespannt werden können, in starke, selbst über- mäßige Kontraktion geraten. Wir (Siemerling und ich) haben auf diese Erscheinung als Symptom der Pseudobulbärparalyse zuerst hingewiesen und ihr eine ausführliche Besprechung ge- widmet (Mitteilungen über Pseudobulbärparalyse und akute Bulbärparalyse. Berliner klin. Wcch. 1886, Nr. 46). Da diese Darstellung trotz meiner wiederholten Hinweise fast von allen späteren Forschern vernachlässigt und besonders gegenüber Bechterew und Brissaud in den Hintergrund gedrängt ist, gebe ich unsere Ausführungen hier wieder: „Hierzu gesellt sich ein in allen Fällen hervortretendes und sehr hervor- stechendes Krankheitssymptom, indem die Individuen bei dem Versuch zu sprechen in ein geradezu krampfhaftes Wehren oder Schluchzen ausbrechen. Die Gesichtsmuskeln spannen sich aufs äußerste an, das Gesicht rötet sich oder wird livide, die Respiration steht in Exspirationsphase still, der Puls wird klein, unregelmäßig oder setzt selbst aus. Das Krankhafte der Mimik liegt also einerseits in der gesteigerten Muskelaktion, die sich als tonischer Krampf der Gesichts- und Respirationsmuskeln darstellt, anderer- seits in dem Umstand, daß die mimischen Bewegungen abnorm leicht ausgelöst werden, so daß jede psychische Bewegung imstande ist, den mimischen Apparat in der geschilderten Weise in Tätigkeit zu setzen. Bemerkenswert ist noch hierbei, daß die Gesichtsmuskeln, welche durch einen Akt des Willens und ebenso bei der Artikulation nur mangelhaft bewegt werden, unter dem Einfluß des Affekts sich kräftig anspannen, wobei sich ge- wöhnlich auch die durch Ungleichheit der Parese bedingte Asymmetrie ausgleicht. Wir gaben der Vorstellung Ausdruck, daß cs sich um die Läsion von Zentren oder um clie Unterbrechung von Bahnen handle, welche hemmend auf die bulbären Zentren wirken. Ähnliche, aber auch zum Teil abweichende Erklärungsversuche sind von Bechterew (A. f. P. XXVI), Brissaud, Strümpell gemacht worden. Bechterew verlegt die Zentren für die Ausdrucksbewegungen in den Ihal. opticus. Krankheits- herde können nun, je nachdem sie reizend eder lähmend wirken, je nachdem sie in diesen Zentren selbst oder in den zu- und abführenden Bahnen sitzen, in verschiedenartigster Weise in den Betrieb der Mimik eingreifen. Brissaud huldigt der Annahme, daß die Affektbewegungsimpulse durch eine besondere —■ nicht mit der motorischen Leitungsbahn identische — Bahn im vorderen Schenkel der inneren Kapsel fortgeleitet werden etc. Die Frage ist dann auch von anderen Forschern, so von Parhon - Golclstein, Dupre - Devaux, Toulzac, Ferrand, Schaffer (C. f. N. 03), Deroubaix (Journ. de Neurol. 06), Wiesner (W. kl. R. 06), Peigerova (Casop. lek. 05), Franceschi (Riv. de pathol. X), Vires - Anglada (Nouv. Icon. 09), Costantini (Riv. di Pat. nerv. XV), Mills (Joum. Nerv. 09) und besonders von F. Hartmann behandelt worden. Dieser Autor bestätigt im wesentlichen unsere Angaben, schildert den starren, masken- artigen Gesichtsausdruck in der Ruhe, die Auslösbarkeit der mimischen Bewegungen durch die verschiedenartigsten Reize, den „explosiven“ und „kataleptischen“ Charakter der Mimik, den „mimischen Luxus“, wie er sich ausdrückt, etc. Unter Hinweis auf Untersuchungen von Bikeles, Jacob, Anton u. A. ist er geneigt, dem Ausfall zentri- U Z. f. Laryngol. I.