Zur Therapie des Morbus Basedowii / von Berthold Stiller.

  • Stiller, Berthold, 1837-1922.
Date:
1888
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Credit: Zur Therapie des Morbus Basedowii / von Berthold Stiller. Source: Wellcome Collection.

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    von Schmecks nach Hanse zurück. Seitdem ist Wassersucht bis heute nicht wieder aufgetreten. Die nächsten Sommer verlebte sie theils in den Karpathen, theils im Pusterthale in Tirol, also in noch grösserer Seehöhe, und brachte immer wieder für einige Zeit Kräftigung nach Hause. Zwei Sommer, aus äusserlichen Gründen in etwas geringerer Höhe verlebt, in St. Eadegund und Aussee, also nur um 300 Meter tiefer, machten sich entschieden durch schlechteres Befinden geltend. Zu erwähnen wären aus den letzten Jahren folgende eigenthiimüche Komplikationen. Schon vor der hydropischen Erkrankung erschienen zeitweise an verschiedenen Körper- stellen, besonders am Rücken, umschriebene Schwellungen, meist von rundlicher Form, ein Kugelsegment darstellend, etwa von der Peripherie eines Kindskopfes. Die teigige Kon- sistenz, die normale Hautfärbung, die Schmerzlosigkeit und das Verschwinden nach 12—24 Stunden lassen diese Schwel- lungen als akute circumskripte Oedeme aufPassen, welche wahrscheinlich auf umschriebenen vasomotorischen Lähmungen beruhten. Offenbar ebenfalls auf vasomotorische Störungen müssen die 1881 axfftretenden, nach viertel- bis halbstündiger Dauer wieder verschwindenden aphasischen Anfälle zurück- geführt werden. Dieselben sind seitdem nicht wiedergekehrt. Im Winter 1883 wurde Patientin nach der Riviera geschickt, wo sie einen, nach ihrer Aussage, apoplektischen Anfall bei vollkommen erhaltenem Bewusstsein erlitt, der sich aber als ausschliessliche Gefühlsstörung an der rechten Körperhälfte ohne die geringste motorische Abweichung erwies, und dessen Folgen als Panzergefühl, neuralgische Schmerzen und Par- ästhesien, besonders an der rechten Seite des Stammes, weniger an Kopf und Extremitäten, noch heute fühlbar sind. Ich weiss nicht, ob ich mir erlauben darf, als Quelle dieser eigenthümlichen Affektion eine Embolie oder Hämorrhagie im hinteren Theile der linken inneren Kapsel anzunehmen. Wir sind noch nicht zu Ende. Im vorletzten Wit^ier bei unveränderter beiderseitiger Herzhypertrophie mii’' systolischem Geräusche an der Herzspitze — ein Befund, wie er seit Jahren fortbesteht — eine sehr bedrohliche Aenderung der Herzaktion ein, nämlich ein vollständiges Delirium cordis mit regellosester Arhythmie, äusserst schwachem, meist an 130 zählendem Pulse und einer Dyspnoe, die jede Bewegung verbot. Struma und Exophthalmus waren nicht nachzuweisen, ebenso wenig die Inkoordination der oberen Augenlider. Der Monate lang bedrohliche Zustand ging mit Verfall des Appetits, der Kräfte rmd des Aussehens einher; die Kranke war auf einmal alt geworden. Ich schickte sie nun letzten Sommer, sobald es anging, wieder nach Schmecks, und sie kam wieder derartig gekräftigt zurück, dass sie im Herbste eine dreimonatliche Krankheit ihres Gatten und den Tod ihrer einzigen Schwiegertochter durchmachen konnte, ohne aus dem Gleichgewichte zu gerathen. Man kann sich denken, mit welcher Spannung ich nach dieser frappanten Erfahrung Jahre lang auf einen passenden Fall wartete, um das Experiment zu wiederholen und mich zu überzeugen, dass der glänzende Erfolg nicht blos eine individuelle Ausnahme war. Fälle von M. Basedowii sah ich wohl genug, aber entweder arme Spitalskranke, die kein Reisegeld hatten, oder leichtere, frischere Fälle, deren Besse- rung nichts Auffallendes hat. Endlich kam 1886 der ersehnte Fall mit allen nöthigen Attributen. Erbetrifft eine Frau D., Kaufmannsgattin, etwa 43 Jahre alt, welche seit 14 Jahren in meiner Behandlimg steht. Patien- tin, Mutter zweier Söhne, in guten gleichmässigen Verhält- nissen, ist eine von Natur höchst neurasthenische Frau, welche sich aber durch seltene moralische Kraft und unge- wöhnliche Energie in Befolgung des ihr empfohlenen Luft- und Bewegungsregimens in vollkommenem Gleichgewichte und in Frische erhält. Der erste Frühlingstag findet sie in ihrer Sommerwohnung, sie ist in jedem Wetter auf der Strasse, und machte wiederholt ganz allein die Reise nach Helgoland. Von ihren Nerven wusste ihre Familie nie etwas, und ich errieth sie mehr, als dass sie sich mir aufdrängten. 1883 wurde sie durch einen Anfall von akuter Neurasthenie, wie ich ihn nicht oft gesehen habe, niedergeworfen; voll- ständige Anorexie, Erbrechen, Schlaflosigkeit, verdüsterte Stimmung, kompHzirt mit einem zufälligen akuten diffusen Bronchialkatarrh, brachten sie in kurzer Zeit so herab, dass sie einer Phthisica in ultimis glich. Sie musste etwa sieben Wochen das Bett hüten, erholte sich aber bei wieder ge- wonnener Energie sehr bald. Im März 1886 entwickelte sich ganz akut ein Morbus Basedowii mit allen Symptomen. Nach wenigen Wochen schon war eine Dilatation beider Herzhälften, besonders der linken nachweisbar, und gar bald traten Anasarca und geringer Ascites auf. Ich schickte sie zeitlich im Frühjahre in ein Sanatorium bei Graz, um sie aus dem Hause zu bringen, und zwar mit der strikten Weisung, mit Eintritt der Sommerwärme in’s Pusterthal zu gehen. Doch blieb sie aus mir unbekannten Gründen in Graz bis Mitte September und kam mit mächti- gem Anasarca, grossem Ascites, Hydrothorax, enormer Herz- dilatation und systolischem Geräusche, sowie mit den Base- dow’schen Erscheinungen zurück. Durch Bettruhe und Digi- talis mit Chinin gelang es mir, die Oedeme fast zu beseitigen, auch Struma und Exophthalmus traten ein wenig zurück, doch der Ascites und der beiderseitige Hydrothorax blieben unbeeinflusst, und mit Aussetzen der Digitalis stieg der Puls gleich wieder von 80 auf 120 Schläge. Auch die übrigen Symp- tome fingen wieder an, zuzunehmen. Das Anasarca stieg rapid; das heftig schlagende Herz reicht vom rechten Sternalraude bis zur vorderen linken Axillarlinie, systolisches Geräusch über der ganzen Herzgegend, Leber bis zur horizontalen Nabel- linie; ja bald stellt sich systolische Pulsation der Leber und der rechten Jugularis ein, also neben der schon bestehenden relativen Insuffizienz der Mitralis auch die der TricuspidaKs in Folge der zunehmenden Dilatation. Eingedenk meines ersten Falles schicke ich die Kranke im Oktober 1886 nach Schmecks, um dort zu überwintern; also ein noch verschärfteres Experiment. Sie fragte mich, was sie dort zu thun habe; ich sagte ihr: so viel als möglich Luft schöpfen. Das that sie nun auch mit gewohnter Energie. Des Gehens unfähig, lag sie den ganzen Tag im Pelze ein- gehüllt auf dem Balkon und bei zunehmender Besserung machte sie stundenlange Schlittenfahrten in der Umgegend. Sie kam im April 1887 zurück in so blühendem Aussehen, dass die sonst zarte Frau ohne Uebertreibung um zehn Jahre ver- jüngt erschien. Sie behauptete, in ihrem Leben noch nie so gut ausgesehen zu haben, nur glaubte sie, noch immer geschwollen zu sein, was sich als bei ihr ungewohnter strammer Panniculus ergab. Die Herzdämpfung überraschend verkleinert, Töne rein, Leber normal, weder Struma, noch Exophthalmus. Seit- dem bis heute ist sie durchaus wohl, vorzüglich gefärbt und genährt, und hat sich nur vor schwerer Hausarbeit zu hüten, an welche sie als unbändige Hausfrau gewöhnt war. Letzten Sommer verbrachte sie mit ihrem noch immer vergrösseiüen Herzen in Bad Innichen in Tirol auf einer Höhe von 1500 Metern und konnte mir nicht genug von ihrem dortigen behaglichen Befinden erzählen. Ich habe diesen beiden Fällen nur hinzuzufügen, dass mein KoUege Prof K e 11 i, der die erste Kranke mit mir behandelte, ebenfalls vorzügliche Erfolge bei Morbus Base- dowii von dem Aufenthalte in den Karpathen gesehen hat, doch waren es ausschliesslich nicht hydropische Kranke. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, diese günstigen, ja überraschenden Resultate zur Kenntniss der Kollegen zu bringen, und sie zur weiteren Prüfung der Sache dringend aufzufordern. Es fällt mir nicht ein, für diese Erfolge die theoretischen Begründungen zu suchen. Die physiologischen Wirkungen des Höhenklimas sind gewiss viel zu komplizirt, als dass die bisherigen so zahlreichen Untersuchungen über die Wirkungen der verdünnten Luft auf mehr als nur einen kleinen Bruchtheü der Gesammtwirkung des Höhenklimas ihr Lieht werfen könnten. Zudem sind die Resultate dieser Untersuchungen, insbe- sondere in Betreff der Einwirkung auf die Zirkulation, nicht