Volume 2

Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns / von Salomon Eberhard Henschen.

  • Henschen, S. E. (Salomon Eberhard), 1847-1930.
Date:
1890-
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Credit: Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns / von Salomon Eberhard Henschen. Source: Wellcome Collection.

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    Fasern genau zu verfolgen ist wie gesagt schwierig. Vom weiteren Schicksal dieser Fasern wird unten bei der Besprech- ung der Tractusbündel näher berichtet werden. Die angekreuzten Fasern liegen im hintersten Teile des Sehnerven der lateroventralen Peripherie unmittelbar an und bilden da ein sichelförmiges Bündel, das sich bisweilen je- doch mehr medialwärts als lateralwärts aubreitet. Dass diese Fasern in dem unmittelbar vor dem Chiasma gelegenen Ab- schnitt des Nerven schon mit den schlingenbildenden gekreuz- ten Fasern verwoben sind, geht aus der vorigen Darstellung unmittelbar hervor. Sonst bilden daselbst die ungekreuzten Fasern wohl ein geschlossenes Bündel. Wie verlaufen nun diese Fasern? Schon oben wurde hervorgehoben, dass diese Fasern zuerst die schlingenbilden- den Fasern des entgegengesetzten Nerven passiren. Dabei dürften sie eine korbähnliche Durchflechtung mit einander eingehen. Wenigstens hat Michel eine solche Anordnung beschrieben und abgebildet (Taf. III. Fig. 3.), obschon er eine andere Deutung der Fasern giebt, indem er ja überhaupt von ungekreuzten Fasern nichts wissen will. Das vorher geschlossene ungekreuzte Bündel wird also schon hier in eine grössere Anzahl Bündelchen zerfasert. Die radienförmige Anordnung der gekreuzten schlingenförmigen Fasern, die wir an der Taf. VI. Fig. 2. r. u. ff.; Taf. XVI. Fig. 21. 1.) ersehen, beweist, dass eine Zerfaserung in horizon- talen plattenförmigen Scheiben stattfindet und dass, wie oben gesagt, zwischen diesen die ungekreuzten Fasern auch in Form von scheibenähnlichen Platten sich einschieben. Dass nun diese Verteilung der Fasern durch das ganze Chiasma sich fortsetzt, geht unmittelbar aus der Beobachtung hervor. Wir finden an den Zeichnungen (Taf. IV. Fig. 4—6; Taf. VI. 3—9. 14- 15; Taf. XVI. Fig. 3. 4. 18. 22. 23.), wie die raclienförmig angeordneten gekreuzten Fasern zwischen sich gelbe atrophische Streifen (^den Platz der unge- kreuzten) lassen. Betrachten wir nun die Abbildungen genauer so sehen wir (Taf. VI. Fig. 2—9.), dass in den vordersten Schnitten diese gelben Streifen hauptsächlich in den ventralen Teilen angetroffen werden; je mehr die Schnitte allmählig nach hinten rücken, findet man diese Anordnung auch in den mehr dorsalen Teilen der Peripherie; auf den hinteren Schnit- ten (Fig. 7—9.) bilden dann die erhalten gebliebenen gekreuzten Fasern im ventralen Teile eine immer mehr kompakte Masse; die gelben Streifen verschwinden hier, um in mehr dorsalen Teilen hervorzutreten, wo sie dichter liegen. In diesen dor- salen Teilen sind nun die gekreuzten Fasern spärlicher, und es vereinigen sich deshalb die gelben Streifen an den hinteren Schnitten des Chiasma mehr und mehr zu einem fast zusam- menhängenden gelben Felde (Fig. 8. 9. unkr.), welches jedoch von einer Anzahl erhalten gebliebener Fasern noch durch- zogen wird. Dieses Feld nimmt den centrodorsalen Teil der einen Chi- asmahälfte ein und strahlt gegen die Mittellinie des Chiasma aus. Es streckt sich lateralwärts fast bis an die Peripherie. Das ungekreitzte Bündel hat sich folglich von der ven- tralen Peripherie gegen die dorsale verschoben, erreicht da- gegen die letztere nicht, indem selbst an den hintersten Schnit- ten des Chiasma, bei einseitiger Atrophie des gleichseitigen Nerven, immer ein Lager von erhaltenen Fasern die dorsale Peripherie einnimmt. (Fig. 10—11. Taf. VI.) Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass diese Fasern der Gudden'schen Com- missur angehören. Wir finden also ganz konstant, dass die dorsale Peripherie nicht vom ungekreuzten Bündel eingenom- men wird, sondern dass dieses Bündel eine centrodorsale Lage beibehält. Wie wir bald sehen werden, bestehen dieselben Verhältnisse auch im Tractus. Es fragt sich weiter: wie weit lateralwärts gehen die ungekreuzten Fasern? Strecken sie sich bis zum lateralen Rande des Chiasma oder nicht? Auch darauf geben uns die Präparate Antwort. Die Figuren 3—8. auf Taf. VI. bezeugen, dass die gelben Streifen, wenigstens nahezu die Peripherie erreichen. Die gekreuzten Fasern scheinen jedoch mehr aussen sich anzuhäufen und einen mehr oder weniger kom- pakten Saum zu bilden. Die Mittellinie des Chiasma scheinen sie nicht zu er- reichen, sondern sich hauptsächlich in dem lateralen Teile der Chiasmahälften zu halten. Im vorderen Teile des Chiasma bildet das ungekreuzte Bündel kein besonderes Feld; je mehr nach hinten, desto mehr markirt und wohlbegrenzt wird es dagegen, doch ohne dass sich irgend ein völlig isolirtes Bündel bildet. Diese eben beschriebenen Verhältnisse haben in prak- tischer Hinsicht hohe Bedeutung. In der Mittellinie des Chi- asma dürfte man nur sich kreuzende Fasern antreffen. Ein Schnitt durch die Mittellinie ruft bitemporale Hemianopsie hervor, ohne Beschränkung der nasalen Sehfeldhälften. Wie bekannt, ist diese Form von Hemianopsie für Chi- asmaerkrankungen charakteristisch. Die eben gegebene Dar- stellung der Kreuzungsverhältnisse steht mit dieser klinischen Erfahrung in vollständiger Übereinstimmung. Anders verhält es sich mit der Lehre von der nasalen Hemianopsie. Allgemein wird angenommen, dass ein patho- logischer Process an den lateralen Winkeln des Chiasma nur die ungekreuzten Fasern trifft. In Folge dessen soll nur eine nasale Hemianopsie entstehen. In Gowers hochgeschätztem Lehrbuche: Diseases of the nervous System. Bd. II. p. 138. steht zum Beispiel: ». . . . nasal hemianopsia. It can only result from a lesion which involves each side of the chiasma and spares the central portion.» Die eben gegebene Dar- stellung des Verlaufes der gekreuzten Fasern lässt sich nicht mit einer solchen Annahme vereinen. Meiner Meinung nach muss ein Tumor im äusseren Chiasmawinkel nicht nur die ungekreuzten, sondern auch die gekreuzten Fasern beeinträch- tigen und folglich eine Art von homonymer bilateraler He- mianopsie verursachen. Welcher Teil der Retina von diesen peripherischen gekreuzten Fasern innervirt ist, muss wohl zur Zeit noch unentschieden bleiben. In der Literatur finden sich verschiedene Fälle von He- mianopsia horizontalis — teils superior, teils inferior — ver-