Volume 2

Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns / von Salomon Eberhard Henschen.

Henschen, S. E. (Salomon Eberhard), 1847-1930.

Date:: 1890-

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Credit: Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns / von Salomon Eberhard Henschen. Source: Wellcome Collection.

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Lagerung im Chiasma dieselbe wie in Tractus und Opticus sei, dass die Bündel also isolirt verlaufen. Derselben Meinung huldigt auch Siemerling x); aus oben angeführten Gründen scheint jedoch sein Fall für die Lösung dieser Frage nicht geeignet. Wir finden eine unvollständige Atrophie in den beiden Sehnerven. Von dem gekreuzten Bündel ist nur ein kleiner Teil übrig, von dem ungekreuzten ein grösserer. Unter den im Chiasma erhalten gebliebenen Fasern finden wir natürlich solche aus den beiden Fascikeln stammende mit einander verflochten. Und wer kann wohl von den in den Fig. 12. 13 und 14. abgebildeten blauen Bün- den angeben, ob das eine oder andere den gekreuzten oder ungekreuzten Fascikel vertritt? Aber auch die entgegensetzte Meinung findet Vertei- diger. Kellcrmann hebt als Resultat seiner Untersuchung hervor, dass überhaupt keine Nervenfasergruppen existiren, welche durch das ganze Chiasma hindurch ziehen ohne sich mit einander zu verflechten. Diese Verflechtung finde im vorderen Teile des Chiasma statt und sei im hinteren Teile wie auch im Tractus fast eine vollständige. Bezüglich der Beweiskraft seiner Beobachtungen verweise ich auf die Seite 233. In jüngster Zeit hat aber diese Auffassung in Bernhei- mer und Delbrück neue Vertreter gefunden. Durch entwick- lungsgeschichtliche Untersuchungen (siehe oben) kam Beru- he imer -) zur Überzeugung, »dass die einzelnen Fasergattun- gen in charakteristischer Weise mit einander eng verflochten wären, dass somit im Chiasma, besonders in dessen unterer Hälfte und im Sehnerven, an einen kompakten isolirten Verlauf der Faserarten nicht zu denken sei. Die drei Faser- arten seien an den besagten Stellen entschieden korbgeflecht- artig mit einander verfilzt.» Auch Delbrück 3) scheint sehr zu dieser Auffassung ge- neigt, indem er sagt: »Im Chiasma und noch mehr im Trac- tus vermischen (die ungekreuzten Bündel) sich allmählig mehr und mehr mit den gekreuzten Fasern.» Berücksichtigen wir dabei, dass Singer und Münzer bei Tieren (Kaninchen etc.) im Chiasma in dorsalwärts gelege- nen Schnitten eine Mischung der einzelnen Bündel fanden, so können wir wohl fragen: wer hat Recht? Eigene Beobachtungen. Die Fragen nach den Lageverhältnissen und der Ver- flechtung der Fasern im Chiasma hängen aufs innigste mit einander zusammen und werden daher im Folgenden im Zu- sammenhang abgehandelt werden. Diese beide Fragen sind auch, wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, noch sehr unklar; dagegen dürfte es unnötig sein die Frage ob eine totale oder partielle Kreuzung im Chiasma stattfindet, speciell J) S. 429. 2) Archiv f. Augenheilkunde von Knapp und Sehweigger. Bd. XX. S. 171. 3) A. O. S. 751. zu diskutiren. Wer durch die von den oben erwähnten For- schern und die gleich vorzuführenden Beweise und Thatsach- en von der Semidecussation nicht überzeugt ist, thäte am besten sich mit Hirnanatomie überhaupt nicht zu beschäf- tigen. In dem ersten Teile dieses W'erkes liefern verschiedene Fälle Beiträge zu den hier zu diskutirenden Fragen vom Verlaufe der Sehfasern durch das Chiasma. Diese Fälle sind N:o 1. 2. 3. 4. 6. 7. 8. 9. 10 und 11. Der pathologische Process liegt in den Fällen 1—9 im Bulbus, in den Fällen 10 und 11 in den äusseren Kniehöckern. In jenen Fällen ist eine aufsteigende, in diesen eine abstei- gende Degeneration vorhanden. Die Befunde dieser beiden Degenerationsarten sind geeignet einander zu ergänzen. Wir wollen nun den Verlauf der Fasern im Chiasma näher verfolgen. Unmittelbar vor dem Chiasma nehmen die sich kreuzenden Fasern den dorsomedialen Teil des Sehnerven ein, während die ungekreuzten im Allgemeinen die Peri- pherie und zwar vorzugsweise die ventrolaterale einnehmen. Doch scheinen, wie oben hervorgehoben ist, individuelle, nicht unbedeutende Differenzen zu bestehen; bisweilen verläuft das ungekreuzte Bündel mehr oder weniger längs der medialen Peripherie (S. den Schmidt-Rimpler'schen Fall Karte E. VIII.); gewöhnlich aber nimmt es die lateroventrale Peripherie ein. Ich werde mich nun zunächst vorzugsweise mit dem Verlauf der gekreuzten Fasern beschäftigen. Wenn man bei einer vollständigen einseitigen Opticus- atrophie Schnitte unmittelbar vor dem Chiasma macht, so wird man davon überrascht, dass man selbst im atrophischen Sehnerven eine nicht unbedeutende Anzahl normaler Nerven- fasern findet (S. meinen Fall N:o 8. Taf. XVI. Fig. 21. 1. kr.). So verhält sich auch die Sache in den Fällen, wo die Atro- phie des einen Sehnerven nicht ganz vollständig war (Fall. 9. Taf. XVI. 17. 1.). Wenn der atrophische Nerv wie in den Fällen 2. 3. 7. eine derartige Anzahl von normalen Fasern noch enthält, so sieht man dieselben schon vor dem Chiasma sich in auflallender Weise vermehren. Wenn diese Thatsachen schon darauf hindeuten, dass Nervenfasern vom normalen Sehnerven in den hintersten Teil des atrophischen Sehnerven einbiegen, indem sie, wie schon Michel entdeckt hat, eine Schlinge nach vorn bilden, so wird man von dieser Thatsache noch mehr überzeugt, wenn man an der analogen Stelle den normalen Nerven betrachtet. Hier muss natürlicherweise eine mehr oder weniger ausgeprägte Atrophie vorhanden sein. Eine solche findet man auch bei genauer Betrachtung und zwar an einer konstanten Stelle des Durchschnittes — nähmlich in dem ventralen Teile des Seh- nerven. Der genauere Verlauf dieser vordersten sich kreuzenden Fasern ist von besonderem Interesse, weil durch die Verfol- gung ihres Verlaufs die mannigfach diskutirte und noch nicht