Volume 3

Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen.

Date:
1880-1884
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Credit: Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen. Source: Wellcome Collection.

    269/608 (page 257)
    Th. Schütt (92), doch ist mit einer solchen Beschreibung nicht viel genützt, da sich die einzelnen Griffe und Handhabungen doch nicht so anschaulich darstellen lassen, dass Jemand sich dieselben anzu- eignen im Stande wäre. Diesen Uebelstand zu vermeiden und die Behandlung des Schreibekrampfes zu einer Methode zu machen, welche jedem Arzte zugänglich ist, veranlasste Professor v. Nuss- baum, eine neue Methode zu ersinnen, welche er unter dem Titel : -Einfache und erfolgreiche Behandlung des Schreibekampfes. Eine vorläufige Mittheilung, München 1882 in einer kleinen Broschüre veröifentlicht hat. Der Gedanke, welcher Nussbäum leitete, war folgender: da das Schreiben fast ausschliesslich durch die Thätigkeit der Flexoren und Adductoren der Finger zu Stande kommt, und diese durch die andauernde Innervation in den Zustand der hochgradig gesteigerten Reizbarkeit ver- setzt werden, so dass sie sich schliesslich schon bei dem Ergreifen der Feder krampfhaft zusammenziehen, so konnte man hoifen, dass eine Me- ^thode des Schi-eibens heilsam wirken würde, bei welcher im Gregentheil die Extensoren und Abductoren der Finger angespannt werden. Nuss^ bäum construirte zu diesem Zweck einen aus Hartgummi hergestellten ovalen Reifen, welcher an seiner oberen Fläche den Federhalter mit einer Schraube eingeklemmt trägt. Dieser Reifen ist etwas breiter als die Hand und muss daher, wenn er über die Finger hinübergeschoben wird, durch Spreizung der ausgestreckt gehaltenen Finger festgehalten werden. Das Schreiben wird jetzt durch die Bewegungen der ganzen Hand bewerk- stelligt. Sowie der Patient in der Thätigkeit seiner Abductoren nachlässt, löst sich der Reifen von den Fingern los, wodurch das Schreiben auf- hört. Der Patient ist daher gezwungen, die ganze Innervation, die er früher auf seine Flexoren und Adductoren übertrug, jetzt auf die Ex- tensoren und die Abductoren einwirken zu lassen. Durch diese Inner- vation der antagonistisch wirkenden Muskeln waren viele Patienten mit Zuhilfenahme des Reifens sehr wohl im Stande, anhaltend zu schreiben, die vorher kaum noch einen einzelnen Buchstaben hatten schreiben kön- nen. NxjssBATTM hofft aber noch einen anderen Erfolg, der sich freilich erst nach längerer Zeit herausstellen kann, zu erzielen. Er hofft, dass wenn ein Patient eine gewisse Zeit mit Hülfe des Reifens geschrieben' und dadurch seine Abductoren und Extensoren stark innervirt haben wird, während die Flexoren und Adductoren in Ruhe verharren, er dann auch wieder zur gewöhnlichen Federhaltung wird zurückkehren können, ohne durch den Krampf belästigt zu sein, da jetzt das früher gestörte musculäre antagonistische Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Sollte sich diese Hoffnung bewähren, so würde die Nussbaum'sche Methode eine der glänzendsten therapeutischen Entdeckungen auf neuro-pathologischem Gebiet sein, welche, wie das bei grossen Entdeckungen so oft der Fall ist, durch die Einfachheit des ihr zu Grunde liegenden Gedankenganges imponirt. Aber selbst, wenn diese Hoffnung sich nicht erfüllt, so bleibt der Nussbaum'sche Reifen eine sehr wesentliche Bereicherung auf diesem therapeutisch bisher so schwer zugänglichen Gebiet. Allgemeine Therapie. II. Tlioü. 2. 17