Volume 3

Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen.

Date:
1880-1884
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen. Source: Wellcome Collection.

    255/608 (page 243)
    Luftzug den betreflfenden Theil trifft, oder wenn der betreffende Kör- pertheil im Schlaf längere Zeit in einer sehr unbequemen den Muskel dehnenden Lage verharrt hat, besonders wenn gleichzeitig Erkäl- tungseinfllisse mitspielen. Auch eine plötzliche heftige Muskelbewe- gung kann diesen Schmerz hervorrufen. Am häufigsten von dem- selben betroffen ist der M. sacrolumbalis als Lumbago (die Tour des reins der Franzosen), und der M. sternocleidom. als Torticollis rheumaticus. Auch in sehr grosser Verbreitung über die Muscu- latur des Körpers kommt dieser Schmerz vor und wird dann vom Volke mit dem Namen des „'Hexenscliusses belegt. Worin der Process, der diesen plötzlichen und meist sehr heftigen Schmerz, der mehrere Tage lang die freie Bewegung aufs Aeusserste erschwert, eigentlich besteht, ist noch durchaus unklar. Auf einer entzünd- lichen Exsudation kann derselbe nicht gut beruhen, da er zu plötz- lich auftritt, und die Zusammenstellung desselben mit den Entzün- dungen ist daher keine ganz gerechtfertigte. Vieileicbt handelt es sich dabei um eine partielle Gerinnung der contractilen Muskelsub- stanz. Der Verlauf ist bekanntlich der, dass selbst ohne jede Be- handlung nach einer Eeihe von Tagen der Schmerz verschwindet und freie Beweglichkeit wieder eintritt. Die Behandlnng ist eine sehr vielartige: Ruhe im Bett, hydropathische Einwickelungen, Schröpf- köpfe, äussere Hautreize, wie Senfteige, Chloroformeinreibungen, Bla- senpfiäster, subcutane Morphiuminjectionen, römische und besonders russische Bäder mit der heissen Dampfdouche, sie alle beschleunigen das Schwinden des Schmerzes und die Wiederherstellung der freien Beweglichkeit. In der letzten Zeit ist nun ganz besonders die Aufmerksamkeit darauf hingelenkt, dass dieser Schmerz durch Massage und Be- wegung oft schneller schwindet, als durch Ruhe und Umschläge. Dieses Mittel ist ein altes Volksmittel, welchem die Wissenschaft zeit- weise grössere Beachtung geschenkt hat. Bereits im Jahre 1837 hatte Martin der Societe de medecine de Lyon ein Memoire ') vorgelegt, in welchem er die Massagebehandlung dieser Affection sehr empfahl und Fälle berichtete, in denen es ihm gelungen war, den heftigsten Lenden- schmerz durch eine einzige Massagesitzung vollkommen zu beseitigen, und Bonnet schliesst sich ihm, wenngleich mit einiger Zurückhaltung, an. Stromeyer^) erzählt einen Fall, in welchem ein Landarzt, der seine Patienten auf dem Lande zu Pferde besuchte, nach dem Aufenthalt in einer zugigen Scheune von den heftigsten Muskelschmerzen am ganzen [) Martin, Du traitement de quelques affections musculaires faussement attribu^es jusqu'ä ce jour au rheumatiame. 2) Stromeyer, Erfahrungen über Localneurosen. 1873. 16*