Volume 3

Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen.

Date:
1880-1884
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Credit: Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen. Source: Wellcome Collection.

    147/608 (page 135)
    Scheiben setzte. Was sonst von Theorien zur Erklärung der Skoliose aufgestellt ist, ist nicht der Erwähnung werth. Zwei Formen der Skoliose bedürfen noch einer besonderen Be- sprechung, nämlich die angeborene und die rhachitische Skoliose. Die angeborene Skoliose beruht entweder auf einem vitium primae formationis z. B. der keilförmigen Ausbildung eines oder meh- rerer Wirbelkörper, oder sie ist die Folge anderweitiger schwerer Missbildungen, besonders solcher des Centrai-Nervensystems wie An- encephalie, Microcephalie oder Spaltung der Wirbelsäule und ist in diesen Fällen wohl auf Muskelspasmen zurückzuführen, welche durch die abnorme Innervation ausgelöst sind, oder sie ist als die durch Druck im Uterus bedingte Deformirung einer ursprünglich normal an- gelegten Wirbelsäule aufzufassen, oder endlich auf fötale Rhachitis zurückzuführen. Alle diese Fälle sind wissenschaftlich von hohem Interesse, haben jedoch für die Praxis gar keinen Werth, da sie ent- weder lebensunfähige Föten betreffen oder, selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, doch nicht mehr als geeignete Objecto der Therapie betrachtet werden könnnen. Als Beispiel diene folgender auf Missbildung des centralen Nervensystems beruhender Fall von angeborener Skoliose: Anna Schmidt, die Tochter wohlgestalteter Eltern, wurde im Jahre 1867 mit schweren Deformitäten geboren. Infolge derselben war sie nie im Stande, die aufrechte Körperhaltung einzuhalten, sondern sie hat ihr ganzes bisheriges Leben in der horizontalen Bettlage zugebracht. Die Ernährung vollzog sich ungestört. Im Alter von 15 Jahren bot die Pa- tientin folgenden Status dar: Auffallend kleiner Gehirnschädel, Umfang um die Spina occipit. ext. und die Tubera frontis 46 Gm. Gesichtsschädel stark entwickelt, besonders die beiden Kiefer, welche mit starken Zähnen besetzt sind, Lippen stark gewulstet, Mund halb offen, Gesichtsausdruck stupide, Augen von normaler Beschaffenheit und normaler Beweglichkeit. Pat. ist geneigt zu blödsinnigem Lachen und stösst nur selten bei erheb- lichem Schmerz einen Schrei aus. Von Sprache ist nicht die leiseste An- deutung vorhanden. Der Kopf wird dauernd nach der linken Schulter geneigt gehalten. Thorax ziemlich gut entwickelt, Brustdrüsen gross, Unterleib flach, Menstruation scheint noch nicht zu bestehen. Der ganze Rumpf wird dauernd stark gebogen gehalten; dementsprechend zeigt sich an der Rückenfläche eine starke Skoliose mit nach rechts gerichteter Con- vexität. Der Höhepunkt der Krümmung liegt dicht unter dem Winkel des Schulterblatts. Der linke Arm ist verhältnissmässig gut entwickelt, jedoch sind die Bewegungen in allen drei Gelenken durch Muskelspan- nung sehr erschwert. Der rechte Arm ist erheblich schwächer, im Ell- bogen sowie im Handgelenk ad maximum flectirt. Nur mit Aufbietung erheblicher Kraft gelingt es, die zusammengezogenen Flexoren zu dehnen, jedoch ist es am Handgelenk überhaupt nicht möglich, die geradlinige