Volume 3

Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen.

Date:
1880-1884
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Credit: Handbuch der allgemeinen Therapie / von H. von Ziemssen. Source: Wellcome Collection.

    138/608 (page 126)
    dass die Mittellinie der Körper eine grössere Curve besehreibt als die Linie, welche die Spitzen der Procc. spinosi verbindet. Ich stimme durchaus denjenigen bei, welche wie H. Meyer und Henke be- haupten, dass in der That jeder Seitenbiegung der Wirbelsäule ein leichter Grad von Rotation beigemengt ist. Wenn man die vordere und hintere Seite der Wirbelsäule betrachtet, so fällt sofort in die Augen, dass dieselben ganz ausserordentlich verschieden gestaltet sind. Vorne die Reihe der Körper mit der Interposition der Zwischen- wirbelscheiben, dem schwachen Lig. longitud. ant. und post. und nur an der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule Ansatz einiger Muskeln, hinten dagegen die Reihe der Bogen mit den Procc. spinos. transvers. und obliqui, gegenseitig befestigt durch ausserordentlich starke Bänder und besetzt von zahlreichen Muskeln, die zu den stärk- sten des Körpers gehören. Eine aus so ungleichen Theilen zusam- mengesetzte Säule kann unmöglich eine reine Seitenbiegung ausführen. Biegt sie sich seitlich aus, so kann sie das nur dadurch thun, dass sich dieser Seitenbiegung ein leichter Grad von Drehung hinzufügt, d. h. eben dass die Reihe der Körper einen etwas grösseren Bogen beschreibt als die Reihe der Dornfortsätze. Dasselbe was somit für die einfache Seitenbiegung gilt, ist auch maassgebend für die doppelte Biegung, nur ist hier die Rotation auch eine doppelte, indem an jeder Krümmung die Körper der Convexität zugewandt sind, die Bogen dagegen der Concavität: dieser, der Seitenbiegung beigemengte Grätl der Axendrehung der' Wirbel ist jedoch imter physiologischen Ver- hältnissen ein sehr geringer.^ Aus den physiologischen Bewegungen der Wirbelsäule können nun Abnormitäten entstehen, welche man mit dem Namen der habi- tuellen Stellungsanomalien bezeichnet. Es kommt vor, dass einzelne Menschen eine bestimmte Biegung oder Stellung der Wirbelsäule ausserordentlich häufig ausführen. Hierzu gehört das beständige Tragen von Gegenständen, die ein ge- wisses Gewicht haben, an einem Arm, z. B. der Schultaschen; das beständige Wiederholen einer bestimmten seitlich abweichenden Stel- lung beim Schreiben, Zeichnen, Violinespielen, oder irgend welchen anderen täglichen Beschäftigungen; die Gewohnheit mit einem ein- geknickten Bein, also mit schief gestelltem Becken zu stehen, das Sitzen auf schiefen Bänken oder Stühlen u. s. w. Die Wirbelsäule eines Erwachsenen wird durch diese ablenkenden Einflüsse, wenn dieselben nicht eine ganz ungewöhnliche Intensität erreichen, kaum jemals dauernd beeinflusst. Auch im jugendlichen oder kindlichen Alter widersteht die Wirbel-