Handbuch der medizinischen Statistik / von Dr. Friedrich Prinzing.

  • Prinzing, Friedrich, 1859-1938.
Date:
1906
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Credit: Handbuch der medizinischen Statistik / von Dr. Friedrich Prinzing. Source: Wellcome Collection.

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    Übrig bleibt als der Name, daß die mächtigen Reiche zerfallen und ihre Bewohner, einst die Träger der Kultur, in Unwissenheit und Halbbarbarei zurückversinken. Trotzdem ist dies bis Jetzt niemals von einem dauern- den Rückschritt in der Entwicklung der ganzen Menschheit begleitet ge- wesen: wir finden die Kulturerrungenschaften der Assyrer, der Ägypter von den Hellenen aufgenommen und weiter entwickelt; dasselbe Schauspiel wiederholt sich bei den Römern, Kelten und Germanen. Diese Entwicklung ist keine stetige; oft ist sie von Rückschlägen unterbrochen. Für Europa war, soweit unsere Kenntnis zurückreicht, weitaus der größte Rückschlag die Völkerwanderung, durch die das Römische Reich zertrümmert und die Führung der Kultur an die mitteleuropäischen Völker übertragen wurde; andere bedeutende Rückschläge waren für Frank- reich die hundertjährigen Kriege mit England, für Spanien die schlechte Regierung Philipps II. und seiner Nachfolger, für Deutschland der Dreißig- jährige Krieg. Kleine Rückschläge von der Dauer einiger Jahrzehnte sind häufig und wurden noch im letzten Jahrhundeit beobachtet; sie waren teils durch politische Gründe verursacht (z. B. durch die Napoleonischen Feldzüge), teils durch wirtschaftliche (Notlage der Landwirtschaft in den 40 er- und 50 er Jahren). Für den einzelnen ist es ungemein schwer, sich darüber klar zu werden, in welchem Stadium der Entwicklung sein Volk sich befindet. Wer kann in rückläufigen Zeiten wissen, ob der Rückgang ein dauernder oder vorübergehender ist'? Da diese rückläufigen Zeiten fast immer mit Notständen verbunden sind, so müssen mit der Überhandnähme des Pau- perismus auch die degenerativen Erscheinungen sich mehren; wer aber wird daraus schließen wollen, daß es sich dabei um eine dauernde Ent- artung eines Volkes handle? Beides, wirtschaftlich gute und wirtschaftlich schlechte Zeiten, haben ihre degenerativen Erscheinungen. In schlechten Zeiten, wenn Not und Armut weite Kreise erfaßt, leidet die Ernährung breiter Volksschichten Not, die darauf mit Abnahme der Eheschließungen und Geburten einer- seits, mit hoher Sterblichkeit der Kinder andei-erseits antworten. Daß durcli solche wirtschaftliche Not die Entwicklung von Krankheiten aller Art, die degenerative Folgen haben, schon in frühester Jugend begünstigt wird, ist allbekannt (Idiotie, Cretinismus, Rachitis, Tuberkulose u. a.). Daneben zeigt die Kriminalstatistik in ungünstigen Zeiten stets ein An- wachsen der Eigentumsdelikte. In wirtschaftlich günstigen Zeiten dagegen treten jene degenerativ wirkenden Krankheiten an Zahl zurück, es drängen sich andere Erscheinungen in den Vordergrund, die den Besitz von Geld voraussetzen, der Alkoholismus und die Prostitution; welche schwere Folgen daraus für den Volkskörper entstehen, haben wir in früheren Kapiteln gezeigt. Dabei geht die Zahl der Eigentumsdelikte zurück, es mehren sich aber die Verbrechen gegen die Person, speziell die Körperverletzungen, überhaupt alle jene Delikte, die meist unter dem EinHuß des Alkohols begangen werden. Innerhalb eines und desselben Volkes sieht man- alte Geschlechter der Reihe nach entarten und verschwinden, ohne daß dadurch der ganze Volkskörper schwächer wird oder an Zahl zurückgeht; an die Stelle der alten Geschlechter treten neue, so daß nirgends eine Lücke entsteht, die oberen Klassen werden durch Nachschub aus den unteren, die städtischen Geschlechter durch Nachschub vom Lande erneuert; täglich vollzieht sich