Volume 1

Die Entwicklungsgeschichte des Talentes und Genies / von Albert Reibmayr.

  • Reibmayr, Albert.
Date:
1908
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Credit: Die Entwicklungsgeschichte des Talentes und Genies / von Albert Reibmayr. Source: Wellcome Collection.

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    bestimmtes Zeitalter und für eine gewisse Kulturstufe maß- gebend, denn was für eine niedere Kulturstufe noch als Talent gilt, ist für die nachfolgende höhere Kulturstufe schon oft nur mehr Mittelmaß. Wie man nun im gewöhnlichen Sprach- gebrauch sehr häufig den Virtuosen mit dem Künstler ver- wechselt, so nennt man auch oft ein besonders hervorragendes Talent ein Genie. Die Ursache dieser Verwechslung liegt darin, daß das Genie das Talent stets in sich schließt, wodurch für den oberflächlichen Beobachter der Grund der Ähnlichkeit gegeben ist. Zwischen Talent und Genie ist aber bei aller Ähnlichkeit doch ein tiefgehender Unterschied, der für die Naturgeschichte des Talentes und Genies von ausschlaggebender Bedeutung ist und in den verschiedenen Blutmischungsverhält- nissen seine natürliche Erklärung findet. Damit ein über das Mittelmaß hervorragender Charakter — also ein Talent — den höchsten Ehrentitel, den die Kultur- menschheit zu verleihen hat, verdient, muß er noch eine Eigen- schaft besitzen, die ihm erst den Stempel des Genialen aufprägt. Das Talent muß, um ein Genie genannt zu werden, die Gabe der Erfindung, Entdeckung und Neuschaf- fung (Organisation) besitzen. Die naturwissenschaftliche Definition des Talentes und Genies lautet daher: Jeder über das Mittelmaß der gei- stigen Befähigung seines Zeitalters und seines Kunstzweiges hervorragende Charakter ist ein Talent. Jedes Talent, welches die Gabe der Erfindung, Neuschaffung in irgend einem Kunstzweige besitzt, ist ein Genie. Dieser grundlegende Unterschied ist nun, wie wir sehen werden, nicht etwa nur eine Folge der verschiedenen Erziehung ' oder des Milieus, sondern wie jeder Charakterzug überhaupt, eine mehr angeborene Eigenschaft. Das Talent und das Genie bringen also wie zwei verschiedene Pflanzenvarietäten ihre differenzierenden Unterschiede schon im Samen mit sich und darum kann aus einem geborenen Talente selbst unter den günstigsten Entwicklungsverhältnissen sehr selten ein Genie werden, und umgekehrt wird ein geborenes Genie niemals auch unter ungünstigen Verhältnissen zu einem Talent sich ent- wickeln, sondern wird den Stempel der genialen Anlage stets