Über die Aufgaben und Zielpunkte der wissenschaftlichen Anatomie / von Wilhelm His.

  • His, Wilhelm, 1831-1904.
Date:
1872
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Über die Aufgaben und Zielpunkte der wissenschaftlichen Anatomie / von Wilhelm His. Source: Wellcome Collection.

Provider: This material has been provided by The Royal College of Surgeons of England. The original may be consulted at The Royal College of Surgeons of England.

    4/18 (page 4)
    sich entgegenstellenden Vorurtheile. Sind auch die anfänglichen Erfolge noch bescheiden, und, hat dem Druck der alten Litteratur gegenüber, die selbständige Forschung Mühe, zu Bewusstsein und Geltung zu gelangen, so befestigt sich doch die Anatomie immer mehr in der Reihe der anerkannten akademischen Fächer, bis endlich, nach einer Reihe mehr oder minder bemerkenswerther Vorgänger, gegen die Mitte des IG. Jahrhunderts Vesal folgt, welcher durch sein entschlossenes Vorgehen der anatomischen Beobachtung eine breite Bahn bricht, und den Zeitgenossen sowohl, als den Späteren den zu begehenden Weg offen legt und ebnet. Von diesem, durch seine Energie, wie durch sein tragisches Ge- schick uns gleichermaassen interessirenden Forscher an bis auf unsere Tage zieht sich die ununterbrochene Reihe namhafter Anatomen fort, deren Geschicklichkeit und Ausdauer, deren Schärfe und Gewissenhaftigkeit der Darstellung, so wie deren geistigem Com- binationsvermögen die Wissenschaft jene Ausbildung verdankt, auf der sie heute steht, und die sie eben in den Augen Mancher als vollendet erscheinen lässt. Die Aufgabe der Anatomie, wie die einer jeden Wissenschaft, geht dahin: einmal den materiellen Inhalt ihres Gegenstandes mit möglichster Sicherheit, Schärfe und Durchsichtigkeit festzustellen, und zweitens denselben zu begreifen. Sehen wir zunächst, wie es bei der menschlichen Anatomie um die Feststellung des materiellen Inhaltes steht. Auf Unterscheidung und Benennung der dem Auge getrennt sich darstellenden Theile und auf Interpretirung ihres Nutzens gingen in erster Linie die Bestrebungen unserer wissenschaftlichen Vorfahren aus. Mit der Häufung des Materials stellte sich immer mehr das Bedürfniss heraus, die gesehenen Theile einlässlich zu beschreiben, ihre Charactere durch das Wort festzustellen, und damit dem Leser ein präcises Bild, dem nachfolgenden Beobachter aber eine zuverlässige Führung zuzusichern. Genaue und klare Beschreibung rechnen wir einer anatomischen Arbeit als hervor- ragende Tugend an, und nicht umsonst nennt sich unsere Wissen- schaft gegenwärtig eine descriptive. Wem das anatomische Glück lacht, der vermag neue, von seinen Vorgängern unbeachtete Theile aufzufinden, in vielen Fällen werthvoller aber als die sog. A