Die Wirkung von Suggestivfragen / von Otto Lipmann.

  • Lipmann, Otto, 1880-1933.
Date:
1908
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Credit: Die Wirkung von Suggestivfragen / von Otto Lipmann. Source: Wellcome Collection.

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    Kapitel XI. Praktische Hinweise. § 52. Gefahren der Suggestivfragen. Auf die Gefahren der Suggestivfragen, besonders bei der gerichtlichen Zeugenwahrnehmung, ist seit dem Bestehen der Aussageforschung schon mehrfach aufmerksam gemacht worden. Ich will hier nur noch auf einige, noch nicht so ausdrücklich bemerkte Punkte hinweisen. — Der Laie versteht unter Suggestiv- fragen wahrscheinlich in erster Linie die Erwartungsfragen, weil eben diese schon in ihrer grammatischen Form ihren suggestiven Charakter andeuten. Deshalb sei hier betont, dafs nicht diese Fragen die gefährlichsten sind, dafs vielmehr diejenigen Sug- gestivfragen, denen ihr suggestiver Charakter nicht so ohne weiteres anzumerken ist, — ich meine die falschen Voraus- setzungs- und unvollständigen Disjunktionsfragen, — viel stärker, nämlich auch dann noch wirken, wenn die falschen Erwartungs- fragen bereits versagen. Der Richter gewöhne sich daran, bevor er nach Merkmalen eines Objektes fragt, sich zu vergewissern, ob der Zeuge von der Existenz dieses Objektes Kenntnis hat, und er vermeide es, wenn er Entweder-Oder-Fragen stellt, dem Zeugen die Wahl zwischen nur zwei Möglichkeiten zu lassen, wenn objektiv mehr Möglichkeiten vorhanden sind. — Der Jurist sollte ferner damit rechnen, dafs die Wirkung der Suggestiv- fragen nicht notwendig eine suggestive zu sein braucht. Wenn der Zeuge nachlässig ist, und besonders, wenn er durch irgend- welche Mafsnahmen des Verhandlungsführers, des Staatsanwalts oder des Anwaltes der Gegenpartei eingeschüchtert ist (auf den Mann aus dem Volke wirkt auch schon die blofse Anwesenheit im Gerichtssaale und die Feierlichkeit der Verhandlung be- ängstigend), so gibt er leicht Antworten, ohne sein Wissen über- haupt energisch zu Rate zu ziehen, oder sogar wider besseres Wissen. Zugegeben, dafs dies eine strafbare Pflichtvergessenheit des Zeugen ist, so tragen doch häufig genug die fungierenden Personen die eigentliche Schuld daran. Wenn der Zeuge erst merkt, welche Antworten er geben soll, auf welche Antworten es ankommt, so wird er nicht gern gerade an der ausschlag- gebenden Stelle versagen wollen. Man rechne doch auf die schon so oft erwähnte Zeugeneitelkeit! Sollen also glaubwürdige Zeugnisse erzielt werden, so haben alle Beteiligten es strikte zu